Liebe
Liebe. Das größte Gut, dass es für einen Menschen im Leben
geben kann. Die Geborgenheit und Fürsorge eines anderen Menschen. Was könnte es
Schöneres geben? Doch Liebe kann gleichzeitig auch eine enorme Last werden. Was
macht man, wenn der Partner nicht mehr selbstständig sein kann, wegen einer
Krankheit oder einem Unfall? Gedanken, die man meist möglichst in die hinteren
Regionen des Hirns verbannt, um sich nicht selbst vor diese unangenehme Frage
zu stellen. Liebe, der neuste Kurzfilm von Kai E. Bogatzki traut sich, genau
diese Frage zu stellen und scheut es dabei nicht, auch die tiefsten Abgründe
der menschlichen Seele zu zeigen. 16 Minuten, die man liebt?
Ein junger Mann kümmert sich um seine im Rollstuhl sitzende
Frau. Mehr sollte man von diesem Film nicht wissen. Mehr darf man auch vor der
Sichtung gar nicht wissen, denn alles was darüber hinausgeht, zerstört die
Erfahrung, die dieser Film hinterlässt. Es ist keine schöne Erfahrung, wie man
sich anhand des Posters und dem damit verbundenen Spruch „Ein Abstieg in die
Abgründe der menschlichen Seele“ schon denken kann. Doch was einen hier
erwartet ist weit mehr, als ein simpler Blick in den Abgrund. Hier wird einem
die Hölle offenbart.
Der Film schafft es von der ersten Minute ein Unwohlsein im
Magen des Zuschauers aufkommen zu lassen. Man sieht wie Nikolai Will, der hier
eine wahrhaft meisterliche Leistung abliefert, mit einer Flasche Schnaps den
Gehweg entlang geht. Dazu erklingen die Klänge aus der Feder des hervorragenden
René Bidmon, welche einen sofortigen Wiedererkennungswert haben. Melancholisch,
traurig und zerstört wirkt der Mann. Es ist sein Leben, was ihn gebrochen hat.
Die Frau ist auf seine Hilfe angewiesen, ohne ihn geht nichts und nur dank ihm kann
sie ein einigermaßen normales Leben leben. Der Zuschauer ist geschockt und in
einer alles lähmenden Starre gefangen. Man hat förmlich Mitleid mit dem armen
Mann und leidet mit jedem Satz, den er ausspricht. Die Kraft die er nicht nur
für sich selbst, sondern auch für seine Liebe haben muss ist wahrhaftig zu
beneiden.
Doch auch immer wieder blitzen kleine Andeutungen auf. Die
Frau, welche von ihm gebadet wird, ist eine enorme Belastung. Ein Blick zum Fön
stellt nicht nur den Mann vor eine Entscheidung? Soll das Leid beendet werden?
Die Musik setzt aus, die Stimme der Frau wird nur noch gedämpft wahrgenommen.
Ist das die Lösung? Doch nein, so kann es nicht enden. Und wieder setzt sich
diese Last in dem Magen des Zuschauers und des Mannes ab. Man muss stark sein.
Doch was dann ab der 10 Minute passiert ist der wahrhaftige
Schock und an dieser Stelle kann ich nur jedem empfehlen, sich diesen Film
anzuschauen. Wo man zuvor ein Drama vermutete, schwenkt der Film nun in eine
ganz andere Richtung. Einen Wechsel, der niemand ohne einen Schock zurücklassen
wird und der auch beim erneuten Schauen immer noch genau da trifft, wo es
wirklich weh tut.
Filmisch wird das Ganze wunderbar inszeniert. Wie schon
angesprochen leistet hier Nikolai Will wirklich Außerordentliches. Seine
Darbietung des Mannes ist so herzergreifend, wie verstörend, fesselnd und einfach
nur glaubhaft. Auch Isabelle Aring macht einen sehr guten Job, kann Will aber
bei weitem nicht das Wasser reichen. Der Score, welcher von René Bidmon eigens
für diesen Film komponiert wurde, ist, wie nicht anders zu erwarten war, ein
absoluter Volltreffer. Es gelingt ihm eine dichte Atmosphäre der Klänge zu
erzeugen und dabei das Tor zu den wahren Abgründen immer weiter zu öffnen.
Melancholie ist hier das Stichwort. Der Mann lebt in einer tristen Welt und
Bidmon nimmt einen sofort dahin mit. Nur zum Ende, als das ganze umschwenkt, da
wird auch die Tür in eine andere, noch viel schlimmere, Welt aufgestoßen und
das mit einem wahrhaftigen Paukenschlag.
Bei der Kamera und dem Schnitt wurde vor allem auf eines
sehr viel Wert gelegt. Ruhe. Erst kurz vor Schluss zeigt Bogatzki dann aber, zu
was er in der Lage ist und mit welcher Bilderflut er einen vollends zerstören
kann. Die Kameraeinstellungen sind nicht ohne Grund sehr einfallsreich gewählt,
doch diesen Grund erahnt man bei der ersten Sichtung noch nicht. Clever und
innovativ geht er hier vor und das wird belohnt, denn dieser Film bleibt im
Gedächtnis.
Fazit: Liebe ist ein Kurzfilm, wie man ihn selten sieht.
Nicht scheu die Abgründe des täglichen Lebens zu beleuchten und dabei einen
ganz eigenen Weg zu gehen. Einen Weg der für den Zuschauer zum Höllenritt wird
und der einen in eine zutiefst traurige Stimmung versetzt. Der Schlag in die
Magengrube folgt spätestens kurz vor Schluss und dieser trifft einen unerwartet
und mit voller Wucht. Dank der grandiosen Darbietung von Nikolai Will und dem
tollen Score von René Bidmon wird man hier wohl eines der diesjährigen
Kurzfilm-Highlights finden. Uneingeschränkte Empfehlung!
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